Lecture held at the Tenth Annual Interdisciplinary German Studies Conference
(»Finite Subjects: Mortality and Culture in Germany«), University of California at Berkeley
April 6, 2002
Die Endlichkeit des Daseins gehört zu den unerschütterlichen Gewissheiten in Martin Heideggers „Sein und Zeit“. Dem Dasein ist sein Ende gewiss, fraglich ist nur, wann, wo und wie es enden wird. In der Art des Bewusstseins dieser Frage unterscheidet sich – Heidegger zufolge – ein „eigentliches“ von einem „uneigentlichen“ Dasein. Heidegger begreift das Dasein als ein „Sein zum Ende“, den Tod hingegen als ein „Zu-Ende-sein“ des Daseins. Das ist kein bloßes Wortspiel, vielmehr steht das Spiel mit den Worten bei Heidegger wie immer (entgegen der Meinung zahlreicher Kritiker) im Dienst der Sache: Das „Sein zum Ende“ ist ein Verhältnis des Daseins zu seinem Ende, während das „Zu-Ende-sein“ ein Ende all seiner Verhältnisse bedeutet. Ebenso ist „Dasein“ nicht bloß ein anderes Wort für „Subjekt“, sondern ein neuer Begriff, der den phänomenologischen Begriff von Subjektivität aufgreift, ins Deutsche übersetzt und zugleich transformiert. Zu seinen entscheidenden Komponenten zählt – neben dem „In-der-Welt-sein“ und dem „Mitsein mit anderen“ – seine zeitliche Struktur, in der seine Endlichkeit begründet ist. Diese Endlichkeit versteht Heidegger als Möglichkeit des Daseins: als seine „eigenste Möglichkeit“, weil sich das Dasein in der Verwirklichung dieser Möglichkeit von niemand anderem vertreten lassen kann; und als seine „äußerste Möglichkeit“, weil sie die Möglichkeit des Endes all seiner anderen Möglichkeiten ist.
Bei Heidegger wird der Tod zum principium individuationis. Es ist der Tod, der das Dasein aus der Alltäglichkeit herausreißt und ein „Selbst“ konstituiert, das sich vom „Man“ unterscheidet. Und es ist sein Verhältnis zum Tod, durch das sich das Dasein als ein besonderes Seiendes von allem anderen Seienden abhebt (vom Verenden des Lebendigen und vom Enden des Unlebendigen). Dieses Verhältnis ist eines der Angst – denn der Tod ist eine ständige Bedrohung. Heidegger versucht sorgfältig, Angst und Furcht zu unterscheiden und ermuntert dabei zu einem „Mut zur Angst“. Die Vorwegnahme des eigenen Todes erschließe dem Dasein im „Freiwerden für den eigenen Tod“ seine äußerste Möglichkeit: In der „Entschlossenheit“ zur „Selbstaufgabe“ trotzt das Dasein dem Zufall seines eigenen Endes. Heidegger verspricht sich und seinen Jüngern von diesem Trotz ein mögliches „Ganzsein des Daseins“. Wer alles aufs Spiel setzt, wird alles gewinnen...
In meinem Beitrag entfalte ich die These von der ontischen Gebundenheit von Heideggers ontologischer Analyse und gehe ihren möglichen politischen Implikationen nach. Mit anderen Worten: Während Heidegger in „Sein und Zeit“ die zeitliche Struktur des Daseins als zeitlos ausgibt, versuche ich zu zeigen, worin sie historisch determiniert ist. Dazu zählt nicht zuletzt Heideggers Weigerung, ein Weiterleben nach dem Tod überhaupt in Betracht zu ziehen – wodurch sich die von ihm beschriebene Todeserfahrung als eine spezifisch moderne Erfahrung erweist. Dieser stillschweigenden Modernität steht ein offener Anti-Modernismus gegenüber, der bereits alle Voraussetzungen für Heideggers spätere Parteinahme für den Nationalsozialismus enthält. Ich möchte nachzeichnen, wie Heidegger in seiner berüchtigten „Rektoratsrede“ von 1933 direkt an die Konzeption des Seins zum Tode von 1927 anschließt, so dass der nationalsozialistische Aufruf zum Kampf wie eine politische Übersetzung der Entschlossenheit zur Selbstaufgabe erscheint.
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